Es war ein faszinierender Vier-Minuten-Auftritt, den Oliver Glasner vor gut zwei Wochen in Berlin hinlegte. Ohne auf seinen Kollegen Urs Fischer zu warten, stürmte Frankfurts Trainer nach dem 0:2 beim 1.FC Union in die Pressekonferenz. Dort verkündete er, dass er im Prinzip nichts sagen wollte, „sonst wird es kritisch für mich“. Allerdings hielt der Österreicher das so ganz nicht durch, zu genervt war er. Was ihm vor allem auf den Sender ging, waren die Gegentore. „Wir verkacken es hinten“, hatte er zuvor beim Fernsehinterview gesagt. Als er nach dieser Kritik gefragt wurde, bestritt er schnippisch, dass es eine Kritik gewesen sei: „Ich habe nur festgestellt.“ Doch als er das Abschlusspech seiner Stürmer kommentieren sollte, stellte Glasner fest: „Du könntest auch mal zu Null spielen, aber wir nicht.“
Glasner wie Favre
Es passiert heute in der Bundesliga nicht mehr oft, dass sich ein Trainer seine Gefühlslage so deutlich anmerken lässt. Zumal in diesem Fall unübersehbar wurde, worüber in Frankfurt schon lange getuschelt wird. Glasner hält die hohen Ambitionen der Eintracht, wo man von einer dauerhaften Existenz in der Champions League träumt und irgendwann auch mal vom Meistertitel, für völlig überzogen. Jedenfalls mit den Spielern, die er hat – vor allem in der Abwehr. So beklagt er sich schon lange, dass Martin Hinteregger nicht adäquat ersetzt wurde. Mit dem jungen Kroaten Hrvoje Smolcic und mit Jérôme Onguéné kamen jedenfalls keine Spieler von Hintereggers Qualität hinzu.
Nun vermittelt Oliver Glasner zwar mitunter eine Überspanntheit, die an den großen Erratiker Lucien Favre erinnert, aber mit seiner Beschwerde hat er durchaus einen Punkt. Obwohl nur drei Teams (Köln, Leipzig und Bayern) den Gegnern weniger Schüsse aufs Tor erlauben als die Eintracht, haben die Frankfurter gemessen an den Gegentoren nur die achtbeste Abwehr. Man könnte das für Pech halten, wenn man auf die Chancenqualität der gegnerischen Abschlüsse schaut, denn beim Wert Expected Goals Against liegt Glasners Team mit 3,5 im Minus. Sie hat statistisch gesehen also dreieinhalb Gegentore mehr kassiert als anhand der gegnerischen Torgelegenheiten zu erwarten gewesen wäre.

Eintracht auf einem Abstiegsplatz
Doch wenn man noch etwas tiefer in den Zahlen wühlt, ist Glasners Kritik an (Pardon: Feststellung zu) seiner Abwehr durchaus berechtigt. Setzt man nämlich die Schüsse aufs Tor mit den Expected Goals (ohne Elfmeter) ins Verhältnis, steht die Eintracht auf einem Abstiegsplatz. Nur Hertha BSC ist noch schlechter. Pro gegnerischem Torschuss erlaubt Frankfurts Abwehr im Schnitt 0,333 Expected Goals (Hertha: 0,335) oder anders gesagt: Wenn der Gegner den Ball aufs Tor bringt, wird es gleich richtig gefährlich, denn eine 33-prozentige Torchance ist eine große Torchance. Kein Wunder, dass Glasner in Berlin grummelte: „Ich weiß nicht, wie man Qualität trainieren soll.“
Erhöhte Frustgefahr
Nach dem Spiel am letzten Freitag gegen den VfL Bochum lobte Glasner seine Mannschaft hingegen für „die fußballerisch beste Leistung im Jahr 2023“. Tatsächlich war sie deutlich überlegen, spielte viele Chancen und Halbchancen heraus, auch wenn sie nicht über ein 1:1 gegen den Abstiegskandidaten hinauskam. Doch trotz aller warmen Worte zeigte sich selbst gegen Bochum, wie wackelig Frankfurts Abwehr sein kann. Das 0:1 fiel nach einem Einwurf und belegte erneut die Schwäche der Eintracht nach Standards. Dort ist sie das schlechteste Team der Liga, und vor allem die Situationen nach Ecken, Freistößen und Einwürfen sorgen für den schlechten Wert bei Expected Goals pro Schuss aufs Tor. Die größte Chance des Spiels übrigens hatten in der Schlussphase die Gäste aus Bochum – natürlich nach einem Freistoß.
Wie das alles viel besser funktionieren kann, zeigt der vorletzte Gegner der Eintracht in der Bundesliga und nun Opponent im Viertelfinale des DFB-Pokals. Union Berlin lässt nicht nur die fünftwenigsten Schüsse aufs eigene Tor zu, der xG-Wert ist mit 0,254 zugleich der zweitniedrigste der Liga. Und zum Schrecken der Eintracht ist Union die nach Standards torgefährlichste Mannschaft der Liga. Fürs Pokalspiel besteht also erhöhte Frustgefahr bei der Eintracht.
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