Die Entfhrung des Hexers - Ein groer Kriminalfall des 11FREUNDE

Es war eigentlich ein ganz normaler Sonntagabend in der katalanischen Hauptstadt. Nach dem 6:0 gegen Hercules schien die Saison fr den FC Barcelona ein gutes Ende zu nehmen. Quini, zweifacher Torschtze, hatte die Sporttasche geschultert, eilte auf den Spielerparkplatz, direkt neben dem Stadion. Der 31-Jhrige war ausnahmsweise alleine aus der Kabine gekommen, wollte seine Frau

Es war eigent­lich ein ganz nor­maler Sonn­tag­abend in der kata­la­ni­schen Haupt­stadt. Nach dem 6:0 gegen Her­cules schien die Saison für den FC Bar­ce­lona ein gutes Ende zu nehmen. Quini, zwei­fa­cher Tor­schütze, hatte die Sport­ta­sche geschul­tert, eilte auf den Spie­ler­park­platz, direkt neben dem Sta­dion. Der 31-Jäh­rige war aus­nahms­weise alleine aus der Kabine gekommen, wollte seine Frau am Flug­hafen abholen. Doch der Tor­jäger kam nie dort an. Drei Männer über­wäl­tigten ihn, als er in seinen PKW steigen wollte, ver­banden ihm die Augen und stießen ihn in einen Lie­fer­wagen.

Sie ver­schleppten Quini ins über 250 Kilo­meter ent­fernte Sara­gossa. Immer wenn sie eine Maut­stelle pas­sierten, musste sich der Stürmer im Fuß­raum abdu­cken. Es war der 1. März 1981, erst sechs Tage vorher hatte das Land mit­er­leben müssen, wie ein Putsch­ver­such des spa­ni­schen Mili­tärs schei­terte. Men­schen­raub war, fünf Jahre nach Franco, zwar an der Tages­ord­nung, doch Ent­füh­rungen ohne poli­ti­schen Hin­ter­grund gab es selten. Und dann traf es aus­ge­rechnet Quini, einen der popu­lärsten Spieler Spa­niens. Schon 30 Mal hatte er das Natio­nal­trikot getragen, fünfmal war er Tor­schüt­zen­könig gewesen. Sie nannten ihn El Brujo“, den Hexer.

Das neue Mons­trum im spa­ni­schen Fuß­ball“

Der FC Bar­ce­lona jener Tage war der Klub seines Prä­si­denten Josep Lluis Nunez. Der Bau­un­ter­nehmer inves­tierte astro­no­mi­sche Summen in aus­län­di­sche Profis: Er hatte 1978 zunächst Hans Krankl gekauft, den öster­rei­chi­schen WM-Helden, ein Jahr später den Dänen Alan Simonsen, Europas Fuß­baller des Jahres, und im Sommer auch noch Bernd Schuster, die Ent­de­ckung der EM. Zudem bot er wahn­wit­zige 20 Mil­lionen D‑Mark für den argen­ti­ni­schen Wun­der­knaben Diego Armando Mara­dona, zunächst ver­geb­lich. Halb­wegs adäquaten Ersatz besorgte er sich auf dem hei­mi­schen Markt. Natio­nal­li­bero Ale­sanco und Tor­schüt­zen­könig Quini ver­stärkten im Sommer 1980 das neue Mons­trum im spa­ni­schen Fuß­ball“, wie die Madrider Zei­tung Ya“ schrieb.

Sein kom­mu­nis­ti­scher Gegen­spieler Ferran Arino, geschei­terter Prä­si­den­ten­kan­didat, sagte: Nunez will aus Barca ein zweites Cosmos New York machen.“ Doch Nunez konnte bei jeder Gele­gen­heit auf seine mone­täre Bilanz ver­weisen. Binnen zweier Jahre hatte er Schulden von 18 Mil­lionen Mark in ein Gut­haben von elf Mil­lionen ver­wan­delt. Nur sport­lich lief es bei Europas reichstem Klub zunächst eher mäßig: In der Hin­runde verlor Barca im Euro­pa­pokal zu Hause 0:4 – gegen den 1.FC Köln. Nunez ent­ließ Trainer Ladislao Kubala, zuvor elf Jahre Spa­niens Natio­nal­trainer, und ersetzte ihn durch eine andere Trai­ner­le­gende, den Mai­länder Helenio Her­rera.

Wäh­rend Nunez mit den Mil­lionen um sich warf, plagten einen Elek­triker und zwei Mecha­niker finan­zi­elle Sorgen. Gemeinsam ver­fielen sie auf die Idee einer Ent­füh­rung. Dass die Geschichte even­tuell eine Nummer zu groß sein könnte, igno­rierten sie. Zunächst hatten sie auch nicht Quini über­wäl­tigen wollen, son­dern einen der zuge­wan­derten Mil­lo­na­rios. Später sollten sie aus­sagen: Eigent­lich wollten wir den Deut­schen kid­nappen, aber dann hörten wir, dass der einen kom­pli­zierten Cha­rakter haben soll und kein Spa­nisch kann.“ Die neuen Kame­raden im neuen Land hatten Schuster mit ver­schränkten Armen emp­fangen.

Schuster: Neben meinen Füßen habe ich auch noch ein Herz.“

Der 20-Jäh­rige ver­diente dop­pelt und drei­fach so viel wie die ein­hei­mi­schen Spieler. Vor allem Spiel­ma­cher Asensi, füh­rendes Mit­glied der spa­ni­schen Spie­ler­ge­werk­schaft, machte aus seinem Wider­stand gegen den Aus­länder keinen Hehl. Quini wurde zu Schus­ters ein­zigem Freund, im Trai­nings­lager teilten sie das Zimmer. Das war auch der Grund, warum sich Schuster nach der Ent­füh­rung in sein Haus in den Bergen zurückzog, weitab der Groß­stadt gelegen. Er sagte: Ich werde nicht spielen, neben meinen Füßen habe ich auch noch ein Herz. Ich will nur, dass Quini wieder zurück­kommt.“

Davon beein­druckt stellten die Kame­raden ihren latenten Fut­ter­neid zurück und erklärten sich soli­da­risch, eben­falls zahl­reiche Klubs. Der nächste Spieltag in Spa­nien drohte zu platzen, bis hin­unter in die dritte Liga. Die lokale Presse lobte Schus­ters mensch­liche Cou­rage. Nur sein Trainer Her­rera war gegen den Streik. Atle­tico Madrid, der nächste Gegner, schien ihm ange­schlagen, ein Aus­wärts­sieg mög­lich. Atle­tico stand auf dem ersten Platz, Bar­ce­lona lag auf dem zweiten. Mit der spa­ni­schen Meis­ter­schaft wollte Her­rera seine Kar­riere krönen. Nachts klopfte es bei Schus­ters an der Tür. Zwei Mit­ar­beiter des Klubs waren eine halbe Stunde durch die Nacht gefahren, um den jungen Deut­schen ins Trai­nings­lager abzu­führen.

Quini hätte in Gefan­gen­schaft ein Ton­band bespro­chen, auf dem er die Mann­schaft auf­for­derte, unbe­dingt zu spielen. Okay“, meinte Schuster, ich will das Ton­band hören. Wenn Quini wirk­lich gesagt hat, wir sollen spielen, komme ich sofort.“ Die Herren fuhren also wieder hin­unter nach Bar­ce­lona, holten die Kas­sette und standen lange nach Mit­ter­nacht vor Schus­ters modernem Villen-Kubus. Tat­säch­lich, es war Quinis Stimme. Am nächsten Tag fuhr Schuster mit seiner Mann­schaft nach Madrid – und verlor 0:1. Nach dem Spiel kri­ti­sierte er seinen Trainer öffent­lich, warf ihm Unmensch­lich­keit“ vor. Die Mann­schaft reagierte: Das Trikot mit der Nummer 9 blieb wäh­rend der Zeit der Ent­füh­rung unbe­setzt; der Trai­nings­be­trieb wurde auf ein Minimum redu­ziert. Die Bilanz wäh­rend Quinis Abwe­sen­heit: fünf Nie­der­lagen, ein Unent­schieden.

Ein Elek­triker war das Mas­ter­mind der Zufalls­ga­noven

Statt wie gewohnt im geg­ne­ri­schen Sech­zehner ver­brachte Quini seine Zeit in einer dunklen und feuchten Kel­ler­woh­nung, neun Qua­drat­meter groß. Die Ent­führer hatten nur eine Matratze und einen Nacht­tisch hin­ein­ge­stellt. In seinem Gefängnis verlor Quini das Gefühl für die Zeit. Er durfte keine Zei­tung lesen und kein Radio hören. Das Ein­zige, was er zu essen bekam, waren Boca­dillos. Die klammen Ent­führer hatten am Ende kaum noch Geld, um ihn zu ver­sorgen. Fer­nando Martin, der Elek­triker, war das Mas­ter­mind der Zufalls­ga­noven. Er wurde bei der Geld­über­gabe in der Schweiz gefasst und ver­riet sofort den Unter­schlupf.

Die ersten Sätze von Quini nach seiner Befreiung am 25. März 1981 waren: Gebt mir ein Boca­dillo, egal mit was, ich habe einen schreck­li­chen Hunger.“ Zwei Kilo leichter, bleich und mit sprie­ßendem Bart trat er vor die Kameras. Zurück in Bar­ce­lona, gegen 2.30 Uhr, wurde er trotz der nächt­li­chen Stunde von einer großen Men­schen­menge emp­fangen. Und am Mittag trai­nierte er schon wieder, vor 40000 Zuschauern. In Spa­nien war die Freude groß, auch dar­über, dass Quini nicht frei­ge­kauft werden musste, son­dern von der Polizei befreit wurde. Ein Jahr vor der WM im eigenen Land wäre das ein schlechtes Signal gewesen. Die Behörden berich­teten: Noch nie zuvor seien so viele Hin­weise aus der Bevöl­ke­rung ein­ge­gangen, sogar die Unter­welt habe sich an der Fahn­dung betei­ligt.

Sie drohten Quini einen Zeh abzu­schneiden

In den 24 Tagen, in denen Quini fehlte, verlor der FC Bar­ce­lona die Meis­ter­schaft, am Ende fehlten vier Punkte. Schuster prägten die Ereig­nisse nach­haltig. Er enga­gierte fortan meh­rere Leib­wächter zum Schutz seiner Familie. Quini nutzte die Gerichts­ver­hand­lung im Januar 1982 zu einer großen Geste. Obwohl er wäh­rend der Ent­füh­rung sogar dar­über nach­ge­dacht hatte, sich umzu­bringen, obwohl die Kid­napper seiner Frau gedroht hatten, ihr einen Zeh ihres Ehe­manns zu schi­cken, sagte er vor Gericht: Wenn es nach mir ginge – ich habe ihnen schon ver­ziehen.“

Seine Ent­führer hatten ihm wäh­rend der Gefan­gen­schaft wie­der­holt ver­si­chert, dass sie ihn bewun­derten und ihm nichts geschehen werde. Eine spa­ni­sche Zei­tung stellte anschlie­ßend fest: Es war zum ersten Mal berech­tigt, das Stock­holm-Syn­drom zu haben, denn die Ent­führer waren wirk­lich keine schlechten Men­schen.“

Quini wurde am Ende der Saison trotz allem Tor­schüt­zen­könig. Und der FC Bar­ce­lona gewann den spa­ni­schen Pokal, auch dank zweier Tore des Hexers. Das Bild der Freunde Quini und Schuster wurde anschlie­ßend zum meist­ge­druckten Foto Spa­niens.

ncG1vNJzZmhpYZu%2FpsHNnZxnnJVkrrPAyKScpWeUnrJusc2tnV57Y1qPhLTRrqWgZZSawG60xLGcq6tfaX51hJBv

 Share!